Für den kurzen Weg von seinem Zimmer zu dem Gerät durch das Altenpflegeheim hatte er gerade noch den Rollator benutzt. Doch seine körperlichen Einschränkungen sind auf dem MemoMoto kein Problem mehr. Er tritt mehrere Minuten im schnellen Tempo in die Pedale, die vor ihm auf dem Fußboden stehen und sieht auf dem Bildschirm des Gerätes die Route vor sich, als wenn er tatsächlich durch die Landschaft zwischen Kloster Arnsburg und Muschenheim führe.
Für die Bewohner wie Gerhard Kolb ist das mehr als nur eine Beschäftigung und Abwechslung. Es weckt Erinnerungen. "Vor 20 oder 30 Jahren bin ich da selbst noch Rad gefahren", erinnert sich Kolb. Er sei Handballer gewesen, erzählt er und freut sich heute über diese Form, sich trotz seines Alters noch bewegen zu können. Manchmal spürt er hinterher sogar ein wenig Muskelkater.
Das Gerät ist keinesfalls nur etwas für ehemalige Sportler oder für die fitteren unter den Bewohnern des Hauses. Zwei Schlaganfälle hat Eleonore Diehl hinter sich. Aber wenn sie auf dem MemoMoto Platz genommen hat, tritt sie problemlos eifrig in die Pedale, und das, obwohl sie früher nie Rad gefahren ist. Nach ihrer "Tour" durch den Gießener Seltersweg zum Schloß erzählt sie: "Das merke ich an den Beinen. Es hilft mir hinterher, besser zu laufen. Das tut den Knochen gut." Sie genießt es, durch vertraute Gießener Straßen zu "fahren". "Da bin ich mal wieder in der Nähe unterwegs und ich fühle mich wie daheim!"
"Wir wissen, dass sich die Heimbewohner oft zu wenig bewegen", sagt Britta Nies, Leiterin des Sozialen Dienstes des Caritashauses. Bewegung ist mit den altersbedingten Einschränkungen nicht einfach. Da tun die Bewegungen auf dem MemoMoto nicht nur gut, sie dienen auch der Vorbeugung gegen Stürze. So hat das Gerät für Nies eindeutig therapeutischen Nutzen, und zwar auch bei Bewohnern, die an Demenz erkrankt sind. Auch bei ihnen würden die Routen Erinnerungen wecken. "Man sieht förmlich, wie sie innerlich beschäftigt sind. Und manchmal erzählen sie dann Geschichten von früher", sagt Inge Ranft von der Sozialen Betreuung. So wird das Erinnerungsvermögen der Erkrankten angeregt. "Sie fühlen sich, als wenn sie tatsächlich draußen wären", erzählt Nies. Das ist wichtig für Menschen, die aufgrund ihrer Einschränkungen nur noch wenig vor die Tür kommen. "Sie haben das Gefühl, aktiv zu sein und etwas zu erleben."
Da das Gerät leicht von einem Wohnbereich in einen anderen gerollt werden kann, sei es sehr flexibel einsetzbar, erzählt Christian Jung, der Leiter des Caritashauses. Nun sollen noch weitere Routen durch Gießen zugekauft werden, weil die bei den Bewohnern noch beliebter sind als eine Radtour zum Beispiel an der Mosel.
Für Jung ist das Gerät auch ein Beispiel dafür, wie Digitalisierung in der Pflege - richtig eingesetzt - Vorteile bieten kann. Allerdings ist ihm wichtig, dass die Senioren auf dem Gerät nicht alleingelassen werden. Mitarbeiterinnen sind immer in der Nähe. Das Gerät soll die Betreuung durch Fachkräfte nicht ersetzen, aber es kann sie sehr gut ergänzen.
MemoMoto
MemoMoto ist ein computergestütztes Gerät, das in den Niederlanden entwickelt wurde. Es soll sowohl das Erinnerungsvermögen ("Memo") als auch die Beweglichkeit ("Moto") der alten Menschen verbessern. Während der Benutzer in die Pedale tritt, ist auf einem Bildschirm eine bestimmte Fahrradroute zu sehen. Ein Impulsgeber, der auf seinen Oberschenkel geschnallt ist, sorgt dafür, dass das Bild langsamer läuft, wenn er das Tempo drosselt und stehen bleibt, wenn er aufhört zu treten. Das gibt dem Senior das Gefühl einer echten Radtour. Die Routen wurden mit Videokameras von Fahrzeugen aus auf realen Strecken gefilmt. Das Gerät kann auch als Tandem für zwei Senioren gleichzeitig genutzt werden. Und wer lieber walkt als Rad zu fahren, kann auch Walkingstöcke anstelle der Pedale benutzen.