Kristina SchwarzJoachim Legatis/Alsfelder Allgemeine Zeitung
Über die Lage ein Jahr nach der großen Fluchtwelle sprach die Alsfelder Allgemeine Zeitung mit Kristina Schwarz, Beraterin beim Caritasverband in Alsfeld.
Sind wir ein Jahr nach der großen Flucht-bewegung bei der Integration angelangt oder sind wir noch im Stadium der Aufnahme?
Schwarz: Wir sind schon bei der Integration angekommen. In den vergangenen Monaten gab es einen Ansturm auf die Beratung, inzwischen kann man eher auf den Einzelfall schauen. Seit Mai ist es ruhiger, aber es kommen immer noch jeden Montag 40 bis 60 Menschen in die Beratung.
Was sind die Hauptfragen an Sie?
Schwarz: Es geht jetzt nicht mehr darum, wann man endlich den Asylantrag stellen kann. Nun geht es auch darum, wie ist es mit einem Deutschkurs ist. Jüngere Flüchtlinge fragen, wie sie eine Schule besuchen können.
Was ist Ihr Part?
Schwarz: Ich biete Asylverfahrensberatung, also, welche Möglichkeiten haben Flüchtlinge im Verfahren. Ich erkläre ihnen, wie das Verfahren funktioniert, das wissen die wenigsten. Da geht es darum, die Fluchtgründe im Interview mit dem Mitarbeiter des Bundesamts umfassend vorzutragen.
Wer bekommt in Deutschland Schutz?
Schwarz: Nur wer Gefahr für Leib und Leben nachweisen kann. Das gilt für einen, dessen Haus von einer Bombe getroffen wurde, nicht für den Nachbarn, dessen Haus diesmal nichts abgekriegt hat. Die Chancen für eine Anerkennung bei Syrern sind sehr gut, anderen muss ich sagen, dass ihre Chancen schlecht sind. Die größte Gruppe sind dabei die Afghanen mit rund 300 Personen im Vogelsberg. Bei der Beratung bekomme ich oft mit, dass Afghanen, die neu ins Land gekommen sind, keinen subsidiären Schutz erhalten. Für sie gibt es immer nur eine Duldung für einen Monat. Diejenigen, die bereits zwei oder drei Jahre im Land sind, bekommen eher subsidiären Schutz. Dann können sie ein Jahr hier bleiben und haben in der Zwischenzeit die Möglichkeit, Deutsch zu lernen und zu arbeiten. Sie bekommen auch Sozialleistungen und gelten als arbeitssuchend und nicht mehr als Flüchtling.
Weshalb haben Afghanen geringe Chancen auf Schutz?
Schwarz: Einige Regionen Afghanistans gelten als sicher, dann heißt es, es gebe die Möglichkeit der Binnenflucht. Ich glaube aber nicht, dass es sicher für die Menschen dort ist. Gerade gab es wieder einen Bombenanschlag mit Toten in Kabul.
Was geschieht mit den Flüchtlingen, die keine Anerkennung oder subsidiären Schutz bekommen?
Schwarz: Sie bekommen einen Brief der Ausländerbehörde, dass sie sich zur Ausreise bereit machen sollen. Manche haben aber keinen Ausweis und die Botschaft weist sie ab. Ohne Identitätspapiere ist es eigentlich unmöglich, einen Pass zu bekommen. Dann werden sie wegen Passlosigkeit hier geduldet. Sie bekommen eine Duldung für einen Monat und wenn sie einen Arbeitsplatz finden, vielleicht für zwei Monate. Das kann jahrelang so gehen. Ich hatte einen Iraker hier, der war acht Jahre lang auf diese Weise geduldet. Er hat eine Frau geheiratet, die die deutsche und irakische Staatsbürgerschaft hat, nun erst hat er ein Aufenthaltsrecht.
Können geduldete Flüchtlinge arbeiten?
Schwarz: Bei einer Duldung bekommt man keine Sozialleistungen. Nach drei Monaten entfällt das Arbeitsverbot, aber es ist schwierig, einen Job zu finden. Der unsichere Status macht es für einen Arbeitgeber nicht attraktiv, einen geduldeten Menschen zu beschäftigen. Wir haben aber viele junge afghanische Männer, die können eine Ausbildung machen. Dann bekommen sie eine Duldung für drei Jahre plus einem Jahr, um Berufserfahrung zu sammeln. Nach vier Jahren können sie Deutsch, haben Arbeit und eine Wohnung. Dann haben sie gute Chancen, hier zu bleiben.
Machen sich Flüchtlinge Illusionen, was sie in Deutschland erwartet?
Schwarz: Viele Flüchtlinge glauben, sie können gleich am Tag nach der Ankunft in einer Firma anfangen, Geld verdienen und eine Wohnung mieten. Gerade Leute mit höherer Ausbildung stellen es sich einfacher vor, hier zu arbeiten. Viele Menschen aus Syrien und dem Iran haben studiert und können perfekt Englisch, aber das reicht nicht für einen Arbeitsplatz in Deutschland. Für viele Flüchtlinge ist es fremd, eine Ausbildung über drei Jahre zu machen, um arbeiten zu können.
Welche Rolle spielen Schulen?
Schwarz: Wie haben viele allein reisende, junge Männer aus Afghanistan. Viele sind Analphabeten, für einige ist es die erste Schulerfahrung. Wir sind eine Papiergesellschaft, da ist es für einen Arbeitsplatz gut, wenn man das Zeugnis einer Schule vorzeigen kann. Und der Unterricht an einer Schule wie der Max-Eyth-Schule bringt Sprachkenntnisse. Da kann ich schon nach einem Monat Unterricht mit dem Menschen deutsch sprechen.
Ist die Lage für Flüchtlinge in den letzten Monaten besser geworden?
Schwarz: Das kommt auf den Einzelfall an. Es gibt Verbesserungen durch das Integrationsgesetz für viele Afghanen, die leichter arbeiten können. Aber es fehlen Wohnungen und Arbeitsplätze. Familien werden getrennt, so habe ich einen jungen Mann, der im Vogelsberg leben muss, seine Familie ist aber in Schwäbisch Hall. Dazukommt die Sorge um die Familie, die zurückgeblieben ist. Sie nachzuholen bedeutet lange Wartezeiten, die Botschaften sind überlastet, das ist ein schleppender Prozess. Und wenn Syrer und Iraker statt der Anerkennung den subsidiären Schutz bekommen, dürfen sie für drei Jahre die Familie nicht nachholen, weil das gesetzlich so festgelegt wurde. Das ist sehr schwierig für sie. Oft sind die Männer allein geflüchtet, weil es zu gefährlich ist, Frau und Kinder auf der langen Strecke zu Fuß durch Südeuropa mitzunehmen. Und dann können sie Frau und Kinder drei Jahre
lang nicht nachholen.
Quelle: Alsfelder Allgemeine Zeitung; Das Interview führte Joachim Legatis.