Das Angebot wird gut angenommen - auch diesmal: Kaum haben Angelika Berbuir und Martina Umar die rote Decke über der Bank ausgebreitet, kommt auch schon die erste Frau auf die beiden zu. Die etwa 60-jährige hat kein Grab auf dem großen Friedhof besucht, sie ist eigens wegen des Angebots der Trauerbank dorthin gekommen. Schon vor einigen Wochen war sie das erste Mal da - und sie ist froh, dass sie wiederkommen kann. Ihr Sohn ist vor zwei Jahren mit gut 30 Jahren an einer plötzlichen Krankheit verstorben. Sie spürt um sich herum, dass viele Menschen mit ihr nicht mehr über dieses Thema reden wollen. "Es ist gut, dass es hier Menschen gibt, die mich nicht dafür verurteilen, dass ich immer noch trauere und die mir zuhören", sagt sie.
Und dann sprudelt es aus ihr heraus: Die Erkrankung des Sohnes, der Anruf mit der Todesnachricht, die Beisetzung in der Coronazeit, ihr Leid und ihre Wut, ihr Versuch, mit dieser Last weiterzuleben, die Vitrine mit den Erinnerungsstücken und die Reaktionen anderer Menschen. Die beiden Ehrenamtlichen hören zu und fragen nach. Sie machen Mut, den ganz eigenen Weg im Umgang mit der Trauer zu gehen und geben vorsichtig Anregungen: "Tut es ihnen vielleicht gut, etwas Neues zu machen, etwas, das sie nicht ständig an ihren Sohn erinnert?". Eine Selbsthilfegruppe für Eltern, die ihr Kind verloren haben, war für die Frau nicht das Richtige, denn dort ginge es nach ihrer Erfahrung vorrangig um den Tod sehr junger Kinder. "Nicht für jeden ist eine Selbsthilfegruppe das Passende", wissen auch die Ehrenamtlichen. Allerdings hätte die Mutter gerne Kontakt zu Eltern, die ebenfalls ein erwachsenes Kind verloren haben.
Einfach unverbindlich Platz nehmen und reden
Angelika Berbuir und Martina Umar sind wie alle sechs Frauen, die sich in dem Projekt engagieren, qualifizierte Sterbebegleiterinnen. Daher sind ihnen die Themen Tod und Trauer und der Umgang mit Angehörigen vertraut. Zusätzlich zu ihrem Ehrenamt im Ambulanten Hospizdienst, wo sie Sterbende und ihre Angehörigen zuhause oder auch im Krankenhaus oder Altenpflegeheim begleiten und unterstützen, sind sie bei der Trauerbank dabei. "Es ist schade, dass es so vielen Menschen im Umfeld der Trauernden schwerfällt, über Tod und Trauer zu sprechen. Viele fühlen sich da einfach hilflos. Aber darum sind wir hier."
Die trauernde Mutter schätzt es, einfach unverbindlich auf der Bank Platz zu nehmen - ohne Anmeldung, ohne Festlegung für weitere Termine, ohne Namensnennung. Genau das ist das Ziel des neuen Projekts: Trauernden ein niedrigschwelliges Angebot zum Gespräch zu machen. "Der Friedhof ist der Ort, wo Menschen mit ihrer Trauer in Kontakt sind. Wir sind da, wo die Menschen trauern", erklärt Michaela Augustin-Bill, hauptamtliche Koordinatorin des Ambulanten Hospizdienstes. "Mit jemand Neutralem zu reden oder auch zu schweigen kann entlasten und guttun."
"Jeder Mensch trauert anders"
Gina Erceg-Fritz und Anita Rizzi kommen an der Bank vorbei. Sie suchen nach dem Grab eines verstorbenen Nachbarn und finden es nicht. Martina Umar verweist sie an die Friedhofsverwaltung. Eine Adressliste mit Kontaktdaten von Selbsthilfegruppen und anderen Angeboten für Trauernde in Gießen befindet sich griffbereit im roten Rollkoffer neben der Bank, auch eine Wasserflasche und Gläser sind darin. Ein Hinweis auf andere Angebote kann manchmal hilfreich sein. Die beiden hauptamtlichen Koordinatorinnen des Ambulanten Hospizdienstes, Michaela Augustin-Bill und Birgit Kurz, sind für alle Ehrenamtlichen jederzeit ansprechbar. Und auch Betroffene können sich direkt an die beiden wenden.
Aus der Suche nach dem Grab entwickelt sich schnell ein intensives Gespräch über die Unterschiedlichkeit der Trauer bei Mutter und Tochter über den Tod des Vaters. Tränen fließen. "Jeder Mensch trauert anders. Und manchmal kommt das auch erst nach Jahren hoch", weiß Martina Umar. Damit nimmt sie den Frauen das Gefühl, dass ihre Trauer nicht "normal" ist. Angelika Berbuir fasst den Sinn der Trauerbank so zusammen: "Wir wollen eine Anlaufstelle für Trauernde sein und ihnen einen Erzählraum bieten." Und Martina Umar ergänzt: "Wir suchen mit ihnen nach ihren persönlichen Ressourcen, die ihnen helfen, mit der Situation umzugehen."
Termine auf dem Neuen Friedhof
Die Trauerbank ist zweimal im Monat samstags von 10.30 bis 12.30 Uhr bei trockenem Wetter auf dem Neuen Friedhof in Gießen besetzt. Man erreicht sie folgendermaßen: Vom Haupteingang aus rechts in den Bogenweg (zweiter Weg rechts) gehen in Richtung Jüdische Kapelle. Bei abweichenden Standorten gibt es im Schaukasten am Eingang des Friedhofs einen entsprechenden Hinweis. Die weiteren Termine in diesem Jahr sind am 26. August, 9. und 23. September, 14. und 28.Oktober.